6533b7cffe1ef96bd1259782

RESEARCH PRODUCT

Wahlen im Kaiserreich anno 1912 — Wahlkampf im Obrigkeitsstaat

Thomas Berg

subject

description

Wahlkampf kann als eine Methode der Meinungs- und Willensbildung sowie als ein Modus der Machtverteilung einer Gesellschaft verstanden werden. Methode meint dabei die auf die jeweilige Gesellschaft zugeschnittene Art und Weise, wie die Gesellschaft entsprechend ihrer historischen Gestalt angesprochen wird, d.h. unter Berucksichtigung ihrer sozialen und okonomischen Gegebenheiten, vorherrschenden Denkstromungen und Problemlagen. Das bedeutet zugleich, dass jeder Wahlkampf auch ein Kind seiner Zeit ist. Die erste historische Uberlieferung einer Methode der Wahlkampfkommunikation stammt aus den Zeiten der Antike — es handelt sich um einen Versuch, ein Volk mittels geeigneter Rhetorik fur bestimmte Ziele zu gewinnen: Der Hofbeamte Korax aus Syrakus war angesichts der Vertreibung des Tyrannen von Sizilien im Jahr 467 v. Chr. mit der Moglichkeit des eigenen Machtverlusts konfrontiert. Um dem zu entgehen, rief er das Volk zu einer Versammlung zusammen. Es wird berichtet, dass er mittels einer Rede versuchte, seine Machtposition zu wahren bzw. wieder zu erlangen.1 Man konnte diese Volksansprache als die erste Wahlkampfrede bezeichnen, welche die Geschichtsschreibung kennt, auch wenn es sich nicht um einen formellen Wahlkampf gehandelt hat. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese erste „Wahlkampfrede“ genau in jene Zeit fallt, in die auch die Geburtsstunde der Demokratie und der Rhetorik fallt.

https://doi.org/10.1007/978-3-531-90448-1_4